In der Massenkommunikation gebe es besondere Phänomene: In der deutschen Medienlandschaft des vergangenen Jahrhunderts habe es nur wenige Fernsehsender und Zeitungen, aber viele Empfänger gegeben.
Eine Reaktion der Empfänger habe es in dieser Welt allenfalls über Leserbriefe gegeben.
Doch seit dem Siegeszug des Internets hätten sich die Regeln geändert: Neuerdings gebe es unendlich viele Sender. Und der Rückkanal sei extrem schnell geworden. Mit nur wenigen Klicks entspanne sich nicht selten eine Diskussion unter vielen Tausend Sendern und Empfängern. Damit verbunden sei eine fundamentale Veränderung der Massenkommunikation.
Reitze schilderte, wie eine Äußerung seines Sohnes zum Nachrichtenkonsum ihn stutzig gemacht habe: „Wenn die Information wichtig für mich ist, wird sie mich erreichen.“
Zunächst habe er diesen Satz nicht verstanden. Inzwischen aber sei klar, wie die Information über Facebook und andere soziale Netzwerke funktioniere: Freunde verteilen Nachrichten unter Freunden und sorgen dafür, dass die für diese Gruppe interessanten Nachrichten ankommen.
Reitze: „So entsteht ein neues Bild der Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen.“
500 Jahre habe es gedauert, bis die Menschen ihr Weltbild nicht mehr von reisenden Händlern oder Kirchenbildern prägen ließen, sondern von Büchern und Zeitungen. Nun also das Internet mit seiner virtuellen Welt.
Das Land „Digitalien“ sei fundamental anders als die Wirklichkeit.
Da sei jeder Einzelne Regisseur seiner eigenen Wirklichkeit. Eindrucksvoll schilderte der HR-Intendant, wie immer mehr abgeschottete Gruppen, seien es Impfgegner oder Pegida-Anhänger, für Argumente Andersdenkender nicht mehr erreichbar seien und auch ihn, einen Repräsentanten des von manchen als „Lügenpresse“ verhassten Systems, mit Schimpftiraden und Schmähbriefen überhäuften.
Grund für diese Entwicklung sei auf der einen Seite offenbar ein Vertrauensverlust: „Vertrauen und Glaubwürdigkeit muss man sich erarbeiten.
“ Auf der anderen Seite aber seien es die Mechanismen des Internet, die es Anhängern verquerer Ideen sehr leicht mache, Gleichgesinnte zu finden und in angeschlossenen Räumen zu kommunizieren: „Da wird Irrsinn gesellschaftsfähig und diskussionswürdig. … Die nehmen nur noch zur Kenntnis, was dem eigenen Weltbild entspricht.“
Letztes sei auch ein Grund für die Selbstradikalisierung bis dahin völlig angepasster Jugendlicher. Die meisten der jungen Dschihadisten, die sich der Terrororganisation Islamischer Statt anschlössen, seien nicht von irgendwelchen Imamen, sondern von YouTube-Videos und in sich abgeschlossenen Internetforen radikalisiert worden.